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Die Zukunft der Antarktis steht auf dem Spiel

Freitag, 12 Jul, 2024

Die Mitglieder der Kommission für die Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis (CCAMLR) treffen sich vom 16. bis 24. Juli 2024 im südkoreanischen Seoul, um die Situation bei der Ausweisung des Meeresschutzgebietes (Marine Protected Area, MPA) in den Gewässern der Antarktischen Halbinsel zu besprechen. Die Sondersitzung findet vor der 43. offiziellen CCAMLR-Tagung im Oktober in Hobart (Australien) statt und könnte der Wendepunkt sein, um endlich die Hindernisse zu überwinden, die der Einrichtung dieses Schutzgebietes im Wege stehen. Es könnte also ein entscheidender Moment für die Zukunft der Antarktischen Halbinsel und damit unseres Planeten sein.

Gletscher in der Antarktis. Foto Franziska Paukert/Sea Shepherd.

Warum sind MPAs in der Antarktis so wichtig?

Die Antarktis ist eines der unberührtesten und wertvollsten Ökosysteme der Welt. Sie ist die Heimat von 10'000 Arten und spielt eine entscheidende Rolle bei der Regulierung des Erdklimas (mehr).

MPAs können durch Einschränkung menschlicher Aktivitäten wie Fischerei und Tourismus eine Vielzahl von Lebensräumen und Arten schützen, insbesondere jene, die durch Umweltveränderungen bedroht sind. Die Antarktis ist das bedeutendste natürliche Forschungsgebiet der Welt und bietet wertvolle Einblicke in den Klimawandel, die Meeresbiologie und die Dynamik von Ökosystemen. MPAs bieten der Wissenschaft ungestörte Gebiete zur Untersuchung dieser Prozesse und helfen uns, die globale Erwärmung zu verstehen und zu lindern. MPAs stärken auch die Widerstandsfähigkeit der Meeresökosysteme, indem sie es ihnen ermöglichen, sich an veränderte Bedingungen anzupassen, was für den Erhalt der biologischen Vielfalt und die Kohlenstoffbindung von entscheidender Bedeutung ist.

Die 27 Mitgliedsstaaten der CCAMLR, die 1982 im Rahmen des Antarktisvertrages zum Schutz der Antarktis und zur Bewirtschaftung ihrer Ressourcen gegründet wurde, entscheiden über die Gebiete, in denen in der Antarktis kommerziell gefischt werden darf, sowie über die Fangquoten für einzelne Arten wie Antarktisdorsch und Krill. Sie sind auch für die Einrichtung von Fangverbotszonen und MPAs zuständig.

Die Kommission hat bereits zwei MPAs in der Antarktis ausgewiesen: 2009 im südlichen Schelf der Südlichen Orkneyinseln und 2016 das mit 1,55 Mio. km² grösste Meeresschutzgebiet im Rossmeer. Nach Ansicht der Wissenschaft ist jedoch ein Netzwerk von MPAs im Südpolarmeer notwendig, nicht nur um die Bewohner der Region wie Krill, Wale, Robben und Pinguine umfassend zu schützen, sondern auch um die Verpflichtung der UN-Biodiversitätskonferenz 2022 zu erfüllen, 30 % der Weltmeere bis 2030 zu Schutzgebieten zu erklären.

Das Schutzgebiet westlich der antarktischen Halbinsel (Antarctic Peninsula MPA), offiziell bekannt als Domain 1 MPA (D1MPA), umfasst 670'000 km² der westlichen Antarktischen Halbinsel und des südlichen Scotia-Bogens. Es wurde erstmals 2017 von den Mitgliedsstaaten Argentinien und Chile beim wissenschaftlichen Komitee der CCAMLR vorgeschlagen, um kritische Lebensräume und Arten in der Region zu schützen und insbesondere auf den zunehmenden Druck durch den Klimawandel, die Krillfischerei und andere menschliche Aktivitäten zu reagieren.

Obwohl D1MPA von der internationalen Gemeinschaft stark unterstützt wird, müssen alle Entscheidungen der CCAMLR im Konsens getroffen werden. Die Mitgliedsstaaten Russland und China haben jedoch jedes Jahr ihr Veto gegen den Vorschlag eingelegt, da sie befürchten, dass ihre kommerziellen Fangrechte, vor allem für Krill, eingeschränkt werden könnten und die vorgeschlagenen MPAs nicht ausreichend wissenschaftlich begründet sind.

Buckelwale auf der Wanderung von der Antarktis nach Australien. Foto Youenn Kerdavid/Sea Shepherd.

Warum das Meeresschutzgebiet notwendig ist

Die Antarktische Halbinsel, insbesondere das vorgeschlagene D1MPA, ist ein kritisches Gebiet, das wegen seiner einzigartigen ökologischen Bedeutung geschützt werden muss.

Biodiversitäts-Hotspot: Die Antarktische Halbinsel und der südliche Scotia-Bogen bieten Lebensraum für wichtige Arten wie Krill, Fische, Seevögel, Wale und Robben.

Lebensraum für Krill: Krill ist eine Schlüsselart im Nahrungsnetz der Antarktis und dient vielen Meerestieren wie Pinguinen, Robben und Walen als Hauptnahrungsquelle. Krill frisst auch Phytoplankton und Algen an der Oberfläche und bindet Kohlenstoff in der Tiefe des Ozeans, wodurch er eine der grössten Kohlenstoffsenken der Erde darstellt und jährlich 23 Millionen Tonnen Kohlenstoff entfernt. Das vorgeschlagene MPA soll diese wichtigen Lebensräume des Krills schützen und die Stabilität des gesamten Ökosystems gewährleisten. (Weitere Infos: Kleine Krebstiere im Kampf für den Planeten)

Auswirkungen des Klimawandels: Die Antarktische Halbinsel erwärmt sich rapide, die Schelfeisflächen schmelzen und der Ozean wird wärmer. Diese Veränderungen haben negative Auswirkungen auf die Krillpopulationen, die an der Unterseite des Schelfeises leben, aber auch auf die Geburtenrate und das Überleben der Pinguinkolonien.

Kommerzielles Krillfangschiff in der Antarktis. Foto Youenn Kerdavid/Sea Shepherd.

Warum die Antarktis kein Jahr länger warten kann

Am 18. März 2022 registrierten Wissenschaftler der Forschungsstation Concordia in der Ostantarktis einen Temperaturanstieg von 38,5 °C über dem jahreszeitlichen Durchschnitt und damit den grössten Temperaturausschlag, der jemals an einer Wetterstation gemessen wurde (mehr). Die Antarktis, von der man einst annahm, sie sei zu kalt, um von der globalen Erwärmung betroffen zu sein, erlebt nun eine rasche Eisschmelze, den Verlust von Meereis und ökologische Störungen, einschliesslich der Bedrohung von Krillpopulationen und Kaiserpinguinen. In Verbindung mit der Erwärmung der Ozeane und der Versauerung könnte die weitere kommerzielle Ausbeutung der Meeresflora und -fauna katastrophale Folgen für das gesamte antarktische Ökosystem haben.

Die Pinguinpopulationen leiden bereits unter dem Klimawandel. Doch die industrielle Krillfischerei findet in denselben Gewässern statt, in denen auch die Pinguine leben. Eine unter anderen vom leitenden Wissenschaftler der US-Delegation bei der CCAMLR verfasste Studie aus dem Jahr 2018 warnt davor, dass der Klimawandel die Krillpopulationen in einigen Gebieten der antarktischen Scotiasee um bis zu 40 % verringern und zu einem Rückgang der Pinguinpopulationen um 30 % führen könnte.

Zwar hat die CCAMLR in den 1990er-Jahren „vorsorgliche Fangquoten“ festgelegt, um eine Überfischung des Krills zu verhindern, doch sind diese längst überholt (die letzte Studie stammt aus dem Jahr 2006). Zudem werden die Fangquoten von der Wissenschaft kritisiert, da sie den fortschreitenden Klimawandel und den technischen Fortschritt in der Fischerei nicht berücksichtigen.

Durch die in den letzten zehn Jahren rasant gestiegene Nachfrage nach Omega-3-Nahrungsergänzungsmitteln auf Krillbasis sowie nach Krillmehl für Zuchtlachs, hat sich eine millionenschwere Industrie mit „effizienteren“ Fangmethoden entwickelt. Moderne Krill-Fangschiffe sind beispielsweise mit einem Saugrohr am Ende des Netzes ausgerüstet, wodurch das Schiff rund um die Uhr und größere Mengen fischen kann.

Als wir im März 2023 auf die Fangflotten trafen, konnten wir dokumentieren, wie diese Supertrawler ihre Netze durch eine Riesenschule von über hundert Finnwalen schleppten, während diese vor den Südlichen Orkneyinseln Krill frassen.

Buckelwale und ihr Nachwuchs sind nach ihrer anstrengenden Wanderung vor der australischen Küste und zurück auf Krill aus der Antarktis angewiesen. Bereits 2021 kamen Wissenschaftler aus Stanford allerdings zu dem Schluss, dass selbst wenn der Krillfang eingestellt würde, im Südpolarmeer nicht mehr genug Krill vorhanden ist, um die Walpopulationen auf den Stand von vor dem Walfang zu bringen.

Da sich Fangschiffe und Meerestiere in denselben antarktischen Gewässern aufhalten wie das vorgeschlagene Meeresschutzgebiet, sind zudem Todesfälle durch Beifang und Geisternetze vorprogrammiert. Mindestens vier Buckelwale wurden seit 2022 als Beifang in Krill-Netzen getötet. Letzten Monat befreiten Helfer vor der australischen Küste einen 18 Meter langen Buckelwal, der sich in mehr als 800 Kilogramm Leinen und Bojen aus der Antarktis verfangen hatte (mehr).

Pinguine bei der Nahrungsaufnahme neben einem Krillfangschiff. Foto Youenn Kerdavid/Sea Shepherd.

Die CCAMLR muss handeln

Vergangenen Oktober hat die 42. CCAMLR-Tagung gegen eine Erhöhung der Fangquoten für Antarktischen Krill für das Jahr 2024 gestimmt (mehr). Obwohl dies ein grosser Erfolg ist, sind wir davon überzeugt, dass nur eine Null-Fangquote den Schutz der Antarktis weiterhin gewährleisten kann.

Wir hoffen, dass die Forderung von Wissenschaftlern, Naturschützern und besorgten Bürgern aus aller Welt nach mehr MPAs in Seoul Gehör findet. Diese Gebiete sind wichtig für den Schutz der Artenvielfalt im Meer. Sie bieten vielen Tieren einen sicheren Lebensraum, schützen vor übermäßiger Ausbeutung und helfen, die Auswirkungen des sich schnell verändernden Klimas abzumildern.

Wie du helfen kannst

Schliesse dich unserer Krillmarkt-Kampagne an: Beteilige dich an unserer von der Bevölkerung getragenen Initiative zur Aufdeckung und Bekämpfung der Unternehmen, die hinter der Ausbeutung von Krill stehen. Indem du Fotos von Krillprodukten aus deinen örtlichen Supermärkten und Drogerien an unsere zentrale Datenbank sendest, stellst du wertvolle Daten zur Verfügung, die uns dabei helfen, die Zielgruppen unserer Kampagne zu identifizieren.

Verbreite die Nachricht: Während sich die CCAMLR auf ihre Sitzung vorbereitet, ist deine Stimme entscheidend, um auf die Errichtung der MPA in der Antarktis zu drängen. Leite diese Nachricht an Freunde und Familie weiter, um auf die verheerenden Auswirkungen der Krillfischerei auf das antarktische Ökosystem und die dringende Notwendigkeit des Schutzes hinzuweisen. Öffentlicher Druck hat sich als wirksam erwiesen, wenn es darum geht, politische Entscheidungen zu beeinflussen - gemeinsam können wir uns für stärkere Schutzmassnahmen einsetzen.

Reduziere die Nachfrage: Durch den Verzicht auf Nahrungsergänzungsmittel, Futtermittel aus Aquakulturen, Tierfutter und Kosmetika auf Krillbasis schützt du nicht nur die Hauptnahrungsquelle für Wale, Pinguine und Robben in der Antarktis, sondern trägst auch zur Eindämmung des Klimawandels bei, indem du eine der grössten Kohlenstoffsenken des Planeten erhältst.

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